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Warum plurale Makroökonomie wichtig ist – Teil 2

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Einfach lernen! Makroökonomie
Dies ist ein Gastartikel von Dr. Rainer Volkmann.

5. Makroökonomie und Lohnpolitik

Auf die Frage nach der makroökonomisch „richtigen“ Lohnempfehlung erlebe ich in Hörsälen regelmäßig Lohnsenkungsempfehlungen. Hier dominiert bereits die neoklassisch verengte Sichtweise des Lohnes als bloße Kostengröße. Nun ist bekannt, dass bei Gültigkeit des Ertragsgesetzes (m.a.W.: sinkende Ertragszuwächse des zunehmenden Arbeitseinsatzes) der niedrigere Lohn zum Beschäftigungszuwachs führt: „…dass aus angebotsorientierter Sicht weniger Lohn mehr Beschäftigung gebracht hätte“.[i]

Freilich fehlt auch in diesem Zitat der Hinweis, dass diese Aussage nur (!) bei ertragsgesetzlichen Zusammenhängen, als bei Substituierbarkeit der Produktionsfaktoren gilt.  Substituierbarkeit der Produktionsfaktoren bedeutet aber, dass ein bestimmtes Produktionsergebnis  bei gegebenem Kapitalstand mit wachsendem Arbeitskräfteeinsatz oder alternativ bei gegebenem Arbeitseinsatz mit wachsendem Kapitaleinsatz erbracht werden kann. Der Realitätsgehalt dieser Annahme möge selbst beurteilt werden. Aber der neoklassische Mainstream macht auch einen logischen Fehler. Nun  ist denkbar, dass Arbeitnehmer in Krisenzeiten tatsächlich Lohnabsenkungen akzeptieren. Bei unverändertem Preisniveau – ein Datum beim methodischen Individualismus –führt der sinkenden Geldlohn folglich zum sinkenden Reallohn. Die Beschäftigung steigt – und mit ihm die Produktion. Soweit also Widerspruchsfreiheit ? Nein- wenn man sich gesamtwirtschaftlicher Betrachtung nähert. Das eben „neoklassisch“ notwendige Absenken des Reallohns ging von unverändertem Preisniveau aus. Wenn nun die zusätzliche Produktion –schließlich ist das für die Nachfrage wichtige  Geldlohnniveau abgesenkt (!) –   nur zu sinkenden Preisen abgesetzt werden kann (erinnert sei an die bekannte Preisabsatzgerade mit negativem Steigungsmaß), folgt also auf zuvor sinkende Geldlöhne nunmehr ein sinkendes Preisniveau. Die Folge ist wieder ein steigender Reallohn; diesmal als Folge (nicht neoklassische Ursache !) der Krise. Die Neoklassik verbleibt hier in einem Widerspruch, den sie nicht mehr überwinden kann.. Die durch den Postkeynesianismus durchaus sinnvolle mikroökonomische Fundierung makroökonomischer Theorieteile ist da kein Gegenargument, weil immer nur nach Präzisierungen (etwa durch  Oligopolisierung modifiziertes Preis- und Wettbewerbsverhalten) gesucht wird, nicht aber das Grundverständnis makroökonomischer Analytik als ein eigenständiger Wissenschaftspfad mit eigenen Instrumenten und spezifischen Fragestellungen  bezweifelt wird. Oder anders: Makroökonomie verrät sich, wenn sie sich der Mikroökonomie bedient.

 

6. Makroökonomie und die Tendenz zu Ungleichgewichten

Der zuvor gebrachte Vorwurf der Faktorsubstitution, also Ertragsgesetzlichkeit als Voraussetzung für die typisch neoklassische Lohnempfehlung führt zugleich zum Sachverhalt sinkender Skalenerträge. Diese werden realisiert, wenn  wachsender Faktoreinsatz zu abnehmenden Ertragszuwächsen führt. Das führt zur Erwartung, dass Kapital, sofern reichlich im Einsatz, in entwickelten Regionen nur noch unterdurchschnittliche Ertrags-(Profit-)Zuwächse erzielt, während Kapitalinvestitionen dort den höchsten Ertrag bringen, wo dieser Faktor noch wenig vorhanden ist. Darauf beruht die neoklassische Vorstellung eines tendenziellen Entwicklungsausgleiches unterschiedlicher Regionen  (und die Krise der Währungsunion begründet).

Diese sind auch 20 Jahre nach der Wiedervereinigung in Deutschland fast ausgeblieben. Auch widersprechen diesen Erwartungen die empirischen Befunde der zunehmenden Agglomeration in Europa zu Lasten der ländlichen Räume, deren ökonomische Bedeutung abnimmt. Dass statt sinkender (neoklassischer) Skalenerträge eher steigende Skalenerträge (externe positive Effekte aus der Agglomeration durch kostenlose spill-over-effekte, Arbeitskräftepool und Transaktionskostenersparnis), wie es die „Neue ökonomische Geographie“ ( Krugman) erklärt, auch diesbezüglich den Erklärungswert der Neoklassik unterminieren, sei hier festzuhalten. Dann aber haben wir Tendenzen zum Ungleichgewicht: Dort, wo bereits Kapital und Arbeit vorhanden ist, ergeben sich attraktive Bedingungen für weitere Ansiedlungen: Die geografische Nähe der vielen Unternehmen und Arbeitskräfte sorgt für kostenlose  Informationsbeschaffung und Kosteneinsparungen bei Beschaffung und Transport; gleichzeitig ist die Kaufkraft höher als auf dem „flachen Land“. Die Heterogenität der vielen Unternehmen in Ballungsräumen erleichtert den Arbeitsplatzwechsel und bietet schnellere Alternativen bei Arbeitsplatzverlust. Auch ist die Konjunkturanfälligkeit bei heterogener Branchenvielfalt geringer. Kurz: Entgegen der Neoklassik mit ihrer Erwartung tendenzieller Ausgleichsprozesse wachsen eher die Standortunterschiede, und es bilden sich zunehmend Wirtschaftszentren gegenüber einer zurückbleibenden Peripherie heraus.

 

7. Alternativlosigkeit der Mainstream-Makroökonomie

Es bleibt aus  Erfahrung und Beobachtung des aktuellen Vorlesungsbetriebes an deutschen Universitäten das Unbehagen, dass in der Ableistung des vorgeschriebenen makroökonomischen Angebotes zunehmend ein wissenschaftliches Gebot vernachlässigt wird: Es wird heute eine  Alternativlosigkeit vermittelnde Vereinfachung des makroökonomischen Inhaltes durch Beschränkung auf den neoklassischen Lehrstoff unternommen. Die Gründe dafür mögen unterschiedlich seien:

– Die Mehrzahl der Lehrenden hat ihre politische und wissenschaftliche Sozialisation erhalten in bzw. nach der „Helmut Kohl-Ära“ (also in den 80er Jahren der Bundesrepublik, als auch in anderen Ländern eine neoliberale – neoklassische Politik betrieben wurde) und hat aus eigenen Erfahrungen eine keynesianisch bestimmte Wirtschaftspolitik nicht kennengelernt

– Die Dominanz der betriebswirtschaftlichen Studiengänge in den Wirtschaftswissenschaften besorgt grundsätzlich eine Modifikation des volkswirtschaftlichen Lehrstoffes hin zu einer mikroökonomischen Schwerpunktsetzung, zumal die einzelwirtschaftliche Sichtweise der BWL und die neoklassische Makroökonomie gewisse Synergieeffekte haben.

– Das perfekte Lehrgebäude der Neoklassik immunisiert sich durch seine Prämissen gegen Kritik und gewährt daher auch für Lehrende einen Schutz vor Hinterfragung und damit persönlicher Kritik

– Die Neoklassik führt die Ökonomie vor gemäß individueller und damit leicht nachvollziehbarer Kalküle.

– Der Neoklassik gelingt die modellhafte Konstruktion einer Marktwirtschaft, in der flexible Preise, Löhne und Zinsen eine Räumung aller Märkte möglich machen. Daher ist Kritik an der Marktwirtschaft nicht mehr Gegenstand der  Wissenschaft und kann politisch umgeleitet werden auf die Frage unzureichender Prämissenumsetzung in der Realität.

– Die Neoklassik kommt mit ihrer Lohnleitlinie und einem die Marktprozesse nur „störenden“ Staatsverständnis den Interessen der Unternehmen entgegen und ist medial erfolgreich verbreitet worden als ausschließliche Sichtweise von Marktwirtschaften

 

Diese wenigen Kritikpunkte sollen darauf hinweisen, wie  attraktiv eine Makroökonomie sich einlassen kann auf aktuelle Kontroversen, wenn sie als plurale, als heterogene Sozialwissenschaft verdeutlicht: Theorien und daraus abgeleitete Politik sind einerseits immer historisch zu begreifen. Aber sie widerspiegeln auch verschiedene Interessen in der Gesellschaft. Sie wollen und können nicht die unveränderbare  „Wahrheit“ vermitteln, sondern aufklären darüber, welche Erkenntniswerte die jeweiligen Theorien haben – und was Grenzen ihrer Aufklärungsgehalte sind. Eine Makroökonomie, die durch Verzicht auf Pluralität sich ausschließlich einer aus der Mikroökonomie ausgeliehenen Methodik bedient und nicht einmal die historischen Gründe ihres Scheiterns Ende der 20er Jahre des vorigen Jahrhunderts thematisieren mag („there is no alternative“), löst ihre wissenschaftliche Aufgabe in Lehre und Forschung allenfalls beschränkt ein.

 


[i] Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung; Jahresgutachten 1977/78, Ziff. 289

 

Zum Autor: Dr. Rainer Volkmann , JG 1947 war 40 Jahre Dozent für Volkswirtschaftslehre an der Universität Hamburg. Schwerpunkt der Lehre und Veröffentlichungen: Makroökonomie, Konjunkturtheorie und -politik, Arbeitsmarkt und Beschäftigungspolitik, sowie Stadtentwicklungspolitik. Bei Bookboon: Lehrbuch (mit Übungsbuch): Einfach Lernen ! Makroökonomie.

Einfach lernen! Makroökonomie