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Warum plurale Makroökonomie wichtig ist

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Einfach lernen! Makroökonomie
Dies ist ein Gastartikel von Bookboon-Autor Dr. Rainer Volkmann.

1. Problemstellung

Aus dem Fächerkanon der Volkswirtschaftslehre ragt das Fach „Makroökonomie“   hervor. Dies verwundert nicht, da es  in seiner ursprünglichen Pluralität mit keynesianischer und neoklassischer Theorie und Politik , aber auch objektiver Werttheorie gerade nicht dem „mainstream“ zugerechnet werden könnte. Die Makroökonomie im Zeitalter des „mainstream“- das ist  die Neoklassik  – als gegenwärtig dominierende Methodik greift  dagegen  gesamtwirtschaftliche Problemstellungen mit ihrem methodischem Individualismus  auf und bereitet  das Untersuchungsfeld möglichst passgenau auf quantitative Bearbeitungsmethoden vor. Eine solche Makroökonomie ist unredlich und verletzt Interessen nach Erkenntnisgewinn.  Sie hat eher geringen Erklärungswert.

2. Makroökonomie ist Kreislaufdenken

„Volkswirtschaftslehre“ (früher: Nationalökonomie) begann historisch mit der makroökonomischen Sicht des Kreislaufdenkens, in dem ein Aggregatdenken geschult wurde, welches eben nicht als bloße Anhäufung vieler Individuen  letztlich doch nur zum konstruierten Individuum („homo eoconomicus“) zurückkommt. Wenn man wie der Verfasser dieser Zeilen den Beginn einer systematischen  Nationalökonomie  mit dem „Tableau economique“ (Francois Quesnay, 1694 – 1774 )  verbindet, wird deutlich, welchen  Erkenntnisgewinn das „Denken in Kreislaufzusammenhängen“ ermöglicht. Jenes Geld, welches die „Klasse der Grundeigentümer“ von der produktiv arbeitenden Klasse abzieht (als typisch feudale Abgabe), vollzieht einen Kreislauf, mit welchem  die gesamtwirtschaftliche  Interdependenz aller gesellschaftlichen Gruppen erkennbar wird.[i]

In diesem  Beispiel wird auch deutlich, dass die historische Überlebensfähigkeit der Klasse der Manufakturbesitzer – die spätere bürgerliche industrielle Klasse (!) –nur dadurch gesichert ist , dass die in diesem Kreislaufbild „vorgelagerte“ Klasse der Grundeigentümer ihr Geld auf keinem Fall „sparen“ darf, sondern ihre Kaufkraft über Güterkäufe weitergibt und somit andere Klassen mit Kaufkraft ausstattet. Studierende, die dieses Tableau economique verstanden hatten, waren hier immer erfreut, ein wissenschaftliches, also „interpersonal überprüfbares „ Argument gegen öffentliche Sparpolitik gefunden zu haben.

3.  „Sparen“ in den Theorien

Apropos Sparen: Auch hier wiederum die Sorge, dass der  Rückzug der heutigen Volkswirtschaftslehre auf den methodischen Individualismus den Studierenden zu nur beschränktem Erkenntnisgewinn  verhilft. Der neoklassische „mainstream“  interpretiert Sparen bekanntlich als Voraussetzung für Investition. Dies gilt nicht für die keynesianische Theorie, denn dort ist Sparen schädliche Ausgabenzurückhaltung. Wird „Keynes“ nicht mehr vermittelt,  ist nicht ausgeschlossen, dass  Generationen von Studierenden regelrecht eingestimmt werden auf „Schuldenbremse“, den „Europäischen Fiskalpakt“  und „Europäisches Semester“, weil hier aus der Übertragung individueller Tugenden („Sparen“) auf makroökonomische Politik   geradezu ein Abschied Europas und seiner hoheitlichen Einrichtungen von einer aktiven sozio-ökonomischen Zukunftsgestaltung vorbereitet wird. Schafft also der neoklassische „mainstream“ die breite Zustimmung zu „Konsolidierung“ und „Sparpolitik“, zu „Staatsabbau“ ?

Auch die wachsende Spaltung der Gesellschaft zwischen „Arm“ und „Reich“ in Deutschland kann auch anders interpretiert und damit gerechtfertigt werden: Die steuerpolitische Begünstigung der „Besserverdienenden“ (Kabinett Schröder/Trittin 1998-2005) findet ihre theoretische Rechtfertigung in der Neoklassik, welche  nur mit der Steigerung der Sparfähigkeit jener Kreise, die überhaupt in nennenswertem Maße zu Ersparnisbildung befähigt sind, das volkswirtschaftliches Sparen erhöhen w kann. [ii]

Überhaupt kann man am Zusammenspiel von Sparen und Investition in der Makroökonomie die plurale Vielfalt dieses Faches verdeutlichen. In beiden Theorien (Neoklassik, keynesianische Theorei) stimmen Investition und Ersparnis überein, aber nur in einer – freilich der „mainstream-Theorie –ist die Ersparnis „vorher“ Voraussetzung für künftige Investition. In der anderen dagegen wäre die „vorherige“ Ersparnis   Nachfrage- und Absatzeinbruch, Arbeitslosigkeit und Insolvenz. Das muss man wissen, um das Wirrwarr öffentlicher Diskussionen und  unsäglicher Talkshows zu verstehen. Dort werden ja nie die im Hintergrund stehenden Theorien benannt. So bleibt in der Öffentlichkeit Verwirrung ob unterschiedlicher Bewertung von Sparen. Makroökonomie als bloße „mainstream“-Veranstaltung unterstützt diese Uninformiertheit.

4. „Sparen“ in der Wirtschaftspolitik

Diese  Kenntnis der Konflikte um den Ersparnisbegriff ist von aktueller Bedeutung. Ein Beispiel: Die sog. Troika (Europäische Zentralbank EZB, EU-Kommission und Internationaler Währungsfond IWF) gibt den südeuropäischen Krisenländern „Sanierungsaufgaben“, um deren Schuldenquoten (Gesamtschuldenstand zu BIP) abzusenken. Das sind  neoklassisch (neoliberal) begründete Kürzungen von Löhnen, Renten, Zahl der öffentlich Beschäftigten sowie Privatisierungs- und Subventionsabbauprogramme. Ganz „neoklassisch“ sollte der Zähler der Schuldenquote, der öffentliche Schuldenstand, sinken; aber ganz „keynesianisch“ lösen diese Kürzungen kontraktive Konjunkturprozesse aus, die den Nenner der Schuldenquote, das BIP, reduzieren. Die Folge: Die Schuldenquote steigt gerade wegen der Kürzungspolitik. (Diese reduzierte das griechische BIP um rd. 25 Prozentpunkte in 5 Jahren). Austeritätspolitik (Sparpolitik) schadet also der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, ein empirischer Beleg für Zweifel an neoklassischer Makroökonomie. Die keynesianische Theorie hat dies allerdings schon längst abgehandelt mit dem sog. Sparparadoxon. Dies besagt (und ist „früheren“ Studierenden immer vermittelt worden), dass zusätzliche Ersparnis das Volkseinkommen und Beschäftigung reduziert, zu sinkenden Steuereinnahmen führt und folglich das  wachsende Staatsdefizit dann wieder erneut zum Sparzwang führt. Freilich: Sofern dies nicht mehr behandelt wird, verliert eine Makroökonomie mit dem Verlust an Pluralität auch ihre intellektuelle Attraktivität.


[i] Vgl. R. Volkmann; Einfach Lernen ! Makroökonomie. 3. Auflage. Bookboon.com. darin siehe Teil 3

[ii] Als anekdotische Ergänzung konstruierte ich im Unterricht an der Universität Hamburg  einen fiktiven  Jahrmarktbesuch, auf dem Besucher mit der Losung „heute wollen wir sparen“ flanierten. Die Frage nach möglichen Reaktionen der Budenbesitzer und Schausteller  führte bei den Studierenden zu Verwunderungen über Folgen von „Sparen“ und dem Wunsch nach einer anderen Sicht des Sparens, dem  mit der Überleitung zur keynesianischen Theorien entsprochen werden konnte.

Zum Autor: Dr. Rainer Volkmann , JG 1947 war 40 Jahre Dozent für Volkswirtschaftslehre an der Universität Hamburg. Schwerpunkt der Lehre und Veröffentlichungen: Makroökonomie, Konjunkturtheorie und -politik, Arbeitsmarkt und Beschäftigungspolitik, sowie Stadtentwicklungspolitik. Bei Bookboon: Lehrbuch (mit Übungsbuch): Einfach Lernen ! Makroökonomie.

Einfach lernen! Makroökonomie