Biologische Mechanismen der Informationsverarbeitung gelten als zuverlässig, anpassungsfähig und effizient. Im Verlauf der Evolution herausgebildet, optimiert und bewährt, bergen sie eine Fülle interessanter Ideen, deren ingenieurtechnische Erschließung mannigfaltige Anwendungen verspricht, die die Informatik in vielerlei Hinsicht bereichern und weiterentwickeln können. Von selbstlernenden und -organisierenden Systemen über fehlertolerante Schwarmintelligenz bis hin zu selbstreparaturfähigen Hardwarekomponenten im molekularen Maßstab reicht die Palette der Einsatzszenarien. Während sich die Bionik vorwiegend der technischen Nachbildung von „Patenten der Natur“ widmet, konzentriert sich dieses Buch auf die Erschließung informationsverarbeitender Aspekte nach biologischem Vorbild. Computingkonzepte lebender Organismen möglichst vollständig zu verstehen, gehört zu den derzeitigen Forschungsaufgaben der Systembiologie, die vorwiegend durch experimentelle Beobachtung, Modellierung, Simulation und mathematische Analyse angegangen werden. Das Lehrbuch gibt einen Überblick über Facetten des Wissensgebietes und vermittelt eine ausgewogene Mischung zwischen theorie- und praxisorientierten Inhalten. Jedes der thematischen Kapitel schließt mit mehreren Übungsaufgaben, deren Lösungen als ergänzendes Material flankierend zum Buch bereitgestellt werden.
Chemische Computer nach dem Vorbild der Natur, bei denen organische Moleküle als Speichermedium dienen und Rechenoperationen durch geeignete molekularbiologische Prozesse und biochemische Reaktionen nachgebildet werden, mögen auf den ersten Blick abwegig erscheinen. Ihr Vorteil gegenüber konventioneller Rechentechnik liegt jedoch vor allem in der enormen Speicherkapazität und -dichte, der Miniaturisierung, der Biokompatibilität sowie in der massiv datenparallelen Verarbeitung, die hohe Rechengeschwindigkeiten erlaubt. Der Kenntnisstand in diesem jungen, von Anfang an interdisziplinär geprägten Wissensgebiet hat sich in den letzten Jahren vervielfacht. Die wachsende Zahl von Patenten und Fachbeiträgen sowie die beginnende Kommerzialisierung belegen die Bedeutung dieses innovativen Forschungsfeldes wie auch seine Verankerung in der Informatik und Biotechnologie. Der Leser erhält einen Einblick in unkonventionelle, molekulare Computingkonzepte aus dem Blickwinkel der Informatik und wird für die damit verbundenen Chancen wie auch Herausforderungen sensibilisiert. Die Auseinandersetzung mit ausgewählten Aspekten der Informationsverarbeitung lebender Organismen öffnet den Blick für vielschichtige Anwendungen an der Schnittstelle zwischen Informatik und den Wissenschaften des Lebens.
Das Buch wendet sich an mehrere Leserzielgruppen. Vordergründig soll es Ingenieure, Informatiker, naturwissenschaftlich-technisch Interessierte und Studierende verwandter Studiengänge ansprechen, die sich über unkonventionelle Computingkonzepte und massiv datenparalleles Rechnen auf biologischer Basis informieren möchten. Insbesondere lassen sich neueste Erkenntnisse über zeiteffiziente Algorithmen zur Lösung rechen- und speicherintensiver Aufgaben (NP-Probleme, kombinatorische Suchprobleme) vorteilhaft auf bereits vorhandene parallele Rechnerarchitekturen übertragen. Die dargestellten Ideen zur Algorithmenkonstruktion sind vielseitig nachnutzbar. Infolge der interdisziplinär ausgerichteten Thematik profitieren auch Bioinformatiker, Molekularbiologen und Genetiker von dem vermittelten Wissen. Ihr Interesse gilt vordergründig der praktischen Anwendung von Simulationen molekularbiologischer Prozesse mit dem Ziel einer kostengünstigen und effektiven Vorbereitung von Laborexperimenten. Das Verständnis des Buchinhaltes setzt keine Spezialkenntnisse voraus, alle benutzten Begriffe werden eingeführt und die dargelegten Sachverhalte leicht verständlich erklärt.
Grundlage des Buches bilden die Vorlesungen „Computing in vivo“, „Molecular Computing“ und „Molekulare Algorithmen“, die seit 2006 regelmäßig vom Autor an der Friedrich-Schiller-Universität Jena sowie zwischenzeitlich ebenfalls an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus gehalten und von Studierenden der Studiengänge Bioinformatik, Informatik sowie Informations- und Medientechnik gern besucht werden. Inhaltlich ähnlich gelagerte Lehrveranstaltungen werden inzwischen auch an einigen weiteren Universitäten und Hochschuleinrichtungen im deutschsprachigen Raum angeboten, vorwiegend im Hauptstudium oder im Rahmen von Masterkursen.
Mein inniger Dank gebührt meinen Teamkolleginnen und -kollegen in der interlokalen Arbeitsgruppe „Unconventional Computing“ an der Friedrich-Schiller-Universität Jena sowie an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus. In forschungsbegleitenden Seminaren, Workshops und weiterführenden Diskussionen reiften zahlreiche Ideen und Erkenntnisse, die Eingang in dieses Buch gefunden haben. Dafür möchte ich an dieser Stelle auch meinen Freunden und Mitstreitern aus den Fachgemeinden des European Molecular Computing Consortium und der Membrane Computing Community herzlich für die langjährige gute und konstruktive Zusammenarbeit danken. Nicht zuletzt gilt mein Dank den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Verlages Bookboon für die Anregungen und die weitreichende Unterstützung bei der Realisierung dieses Buchprojektes.
Allen Leserinnen und Lesern wünsche ich eine interessante Lektüre.
Thomas Hinze